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Hilmar Klute: „Was dann nachher so schön fliegt“

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Wäre man nicht durch die Presseinformation darüber informiert worden, würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich bei diesem Roman um ein Debüt handelt. Hilmar Klute schreibt derart routiniert und hat einen unglaublich dichten und opulent mit Details ausgeschmückten Erstling hingelegt, dass man zurecht das Attribut „fulminant“ in den Mund nehmen darf, um diesen Roman mit einem Wort zu beschreiben.

„Was dann nachher so schön fliegt“ erzählt aus der Ich-Perspektive einer homodiegetischen Erzählinstanz in einer sich kapitelweise abwechselnden Parallelkomposition die Erlebnisse des 20-jährigen Volker Winterberg im Jahr 1986. Als Zivildienstleistender arbeitet er in einem Altenheim im Ruhrpott und als Literaturdienstleistender reist er nach Berlin zu einer Veranstaltung mit jungen Autoren, die vom Literaturhaus in der Fasanenstraße ausgerichtet wird.

Wir schreiben das Jahr 1986, der Fall der Mauer steht noch nicht auf dem Plan, Berlin ist noch West-Berlin, jenes „Bundesbiotop“ für alle Gestrandeten und Untergetauchten, für Wehrdienstverweigerer und Lebenskünstler, für Träumer und Spinner aller Art.

Volker Winterberg schreibt Gedichte und sucht Anschluss an den Literaturbetrieb. Er lebt in und mit der Literatur, fantasiert ich in die Mitte jener literarischen Eliten der alten Bundesrepublik. Volker schreibt Gedichte und führt fiktive Fachgespräche mit den schriftstellerischen Größen seiner Zeit, aber auch und gerade die schonungslose kritische Auseinandersetzung mit literarischen Texten, wie sie über viele Jahre in der legendären Gruppe 47 praktiziert wurde, scheint den Ich-Erzähler stark beeindruckt zu haben. Seine Träumereien gehen so weit, dass er sogar fiktive Treffen der Gruppe 47 imaginiert, zum Beispiel auf der Dachterrasse vom Kaufhaus Karstadt am Herrmannplatz in Kreuzberg.

So trostlos der Zivi-Job in dem Altenheim ist, bei dem er jener „Generation, die Auschwitz ermöglicht hat, den Arsch abwischt“, wie es seine linke 68er-Kollegin Erika ausdrückt, so aufregend wird für den jungen Lyriker-Aspiranten die Fahrt nach Berlin und die Zeit mit den anderen Autoren im Literaturhaus. Vor allem aber ist da Katja, die Anglistikstudentin, durch die Volker nicht nur das andere Berlin kennenlernt, sondern die auch sein Leben (zumindest vorübergehend) aus der Bahn wirft.

Hilmar Klute dürfte vielen Lesern vor allem als Streiflicht-Redakteur der Süddeutschen Zeitung bekannt sein. Aber er hat auch bereits einige Bücher veröffentlicht, unter anderen die wundervolle Biografie von Joachim Ringelnatz („War einmal ein Bumerang“). Nun also das „literarische“ Debüt, und was für eines!

Dem Autor gelingt es scheinbar mühelos, sowohl die Atmosphäre jenes sorg- und ziellosen Lebens der Jugend im damaligen West-Berlin einzufangen, als auch den Sound der Jugendsprache zu rekonstruieren. So sind besonders die Berlin-Kapitel dieses Romans von einer hohen Intensität und zeugen auch von einer großen Ortskenntnis. Und wenn Volker, Katja und die Anderen durch die Kreuzberger und Schöneberger Nächte ziehen, sitzt manchmal, ohne dass die Figuren in Klutes Roman das wissen, Sven Regners Herr Lehmann mit am Tresen.

Was den bundesrepublikanischen Literaturbetrieb betrifft, so ist dieser Roman mittendrin angesiedelt; auf die eine oder andere Weise sind eine ganze Reihe von bekannten Autoren präsent: vor allem Rühmkorf, Handke, Heiner Müller und die ganze Gruppe 47.

„Was dann nachher so schön fliegt“ ist ein Entwicklungsroman, in dem ein junger Autor seinen Weg zum Schreiben findet. Während Volker die Quelle seiner Kreativität in Pariser Nächten sucht, indem er dort das Leben selbst und die Grenzerfahrung zum Anstoß seines Schreibens macht, lernt er erst am Ende dieser wundersamen Geschichte, wie es wirklich gehen muss. Jedem Ende wohnt ein Anfang inne, und am Ende dieser 365 Seiten langen Entwicklung hat er sich gehäutet, ist gewachsen und von einem nachahmenden Lyriker zu einem authentischen Autor gereift, der seine eigene Stimme gefunden hat.

„Was dann nachher so schön fliegt“ ist ein beeindruckendes Debüt. Geschrieben in einer schnörkellosen und detailreichen, sehr atmosphärischen und gut lesbaren Sprache, wird dieser Roman vor allem für Leser, die sich für Literatur und das Schreiben einerseits, für das alte Berlin der 1980er Jahre andererseits interessieren, ein großer Lesegenuss sein.

 

 

Autor: Hilmar Klute
Titel: „Was dann nachher so schön fliegt“
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Galiani-Berlin
ISBN-10: 3869711787
ISBN-13: 978-3869711782


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