Quantcast
Channel: Moderne Literatur – belletristiktipps.de
Viewing all articles
Browse latest Browse all 51

Sarah Kuttner: „Kurt“

$
0
0

In der Beschreibung verspricht dieser Roman auf unaufgeregte Weise mit Humor die Verarbeitung von Trauer.

Das machte neugierig, obwohl es auch aus persönlichem aktuellem Anlass piekte. Es gibt nicht auf alles Antworten, und wie kann man jemanden nach einem schrecklichen Verlust beistehen.

Und es stimmt! Das schafft der Roman und einiges mehr. Lena ist die Freundin, Lebensgefährtin von Kurt — dem Großen sozusagen, denn er hat einen kleinen Jungen gleichen Namens.

Der Leser ist Teilnehmer eines stinknormalen Alltags. Möglicherweise einer Familie, die nicht ist, wie man es selber gut findet — aber jeder ist anders. Und die Sogwirkung der Geschichte beginnt schon auf diesen ersten Seiten. Während noch die Nase gerümpft ist ob der Umgebung und des arg lässigen Umgangs miteinander, ist der Drang weiterzulesen stärker als die Dünkel.

Es sind einfache, bodenständige Menschen. Die in eine bodenständige Umgebung gezogen sind und dort ein altes Haus auf Vordermann bringen wollen. Für Kurt, den Kleinen. Wer die Umgebung Berlins in Brandenburg etwas kennt, wird sich freuen. Und wer den Berliner Dialekt nicht mag und die Menschen anstrengend findet, kann ebenfalls beruhigt sein: Mundart kommt sehr wenig vor. Und gerade das Umland wird augenzwinkernd in kleinen Stellen beschrieben. So kann man die Eigenarten auch sehen — auf mich wirkte es nach vielen Jahren Brandenburg-Erfahrung leicht versöhnlich.

Die Geschichte läuft. Interessant auch zu lesen, wie sich die Neue in der Familie fühlt. Sich einfindet, welche Fragen und mehr vorausgesetzte als von außen gesetzte Grenzen sie beschäftigen. Sie — Lena — ist die Erzählerin. Sie lebt mit beiden Kurts zusammen und hat engen Kontakt zu ihrer Schwester, welche erst spät als solche erkennbar ist, und natürlich auch zur leiblichen Mutter des Kindes.

Und dann passiert das Unglück. Plötzlich ist der Kleine nicht mehr da. Körperlich nicht mehr da. Ansonsten ist er die Hauptperson und überaus präsent. Lena nimmt sich zurück, da sie jetzt keinen Fragen stellen kann und will. Welche Rolle ihr zukommt, wie sie ihren Schmerz zeigen darf. Inwieweit sie sich überhaupt einbringen darf als nicht leiblicher Erziehungsberechtigter. Und auch als Partnerin.

Es folgt eine Zeit, in der jeder seinen Kummer anders durchlebt. Und genau dies wird wirklich gekonnt dargestellt. Der Leser braucht nicht darin einzutauchen. Er erlebt mit, wie es Lena geht, welche Auswege sie aus ihren Fragen findet, was sie macht, um mit dem Ganzen umzugehen.

Kurt (der große) ist zunächst sehr oft verschwunden. Leiblich, aber auch mental, wenn er denn mal da ist. Sie will ihm helfen, aber Fragen würden stören. Also lässt sie ihn. Auch das eine angenehme Seite ihrer Beziehung — sie lassen sich Freiheit, sind auf einer Augenhöhe und haben ihre gemeinsame Welt. Ohne dabei symbiotisch zu werden oder den dauernden Anspruch auf „Gemeinsamkeit“ zu erheben.

Wie Lena denkt: „Die Welt bleibt nicht einmal für eine beschissene Sekunde stehen. Sie zögert nicht einmal …“ (S. 105) Genau so geht es weiter. Der Garten wird weiterhin aufgehübscht. Es war das letzte Projekt, in welches der kleine Kurt involviert war. Es ist Lenas Anliegen.

Derweil kümmert sich Kurt um das Haus. In brachialer Weise, denn er verarbeitet teilweise so seinen Schmerz. Beide finden wieder etwas zueinander, müssen dennoch feststellen und aushalten, wie groß weiterhin die Distanz ist. Dennoch machen beide kleine Schritte aufeinander zu. Über den Alltag, das Haus. Finden ihre gemeinsamen Gesprächsthemen und Interessen wieder.

Familie und Freunde, Nachbarn sind Randfiguren, die dennoch vieles leisten. In ihrem Da-Sein. Mit Trost auf verschiedene Art und Weise, die sich jeder herausziehen kann, wenn er will. Es werden nicht viele Worte gemacht. Und am Ende wird auch das Zimmer des Kleinen aufgeräumt. Zusammen geweint, offen geredet. Es scheint ein weitergehendes Leben zu geben. Mit anderen Vorzeichen, gereifter Beziehung, veränderten Menschen.

Das allerletzte, sehr kurze Kapitel ist auch sehr schön. Für den Leser zunächst verwirrend. Aber man darf dieses gute Gefühl, die Dankbarkeit jemanden Bestimmten überhaupt erlebt zu haben, miterleben.

Schön! Tröstlich. Alternativen aufzeigend und Hoffnung gebend, es finden sich andere Wege. Und im Grunde wäre es richtig schön, den kleinen Kurt besser kennenzulernen. Aber dann wäre der Zauber vermutlich nicht mehr da. Vielleicht darf der Leser aber irgendwann mehr über die Entwicklung der Familie — nach möglicherweise zehn Jahren — erfahren. Bestimmt interessant.

(C. S.)

 

 

Autor: Sarah Kuttner
Titel: „Kurt“
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: S. FISCHER
ISBN-10: 3103974248
ISBN-13: 978-3103974249


Viewing all articles
Browse latest Browse all 51